Aha-Erlebnis beim Behindertensport
Datum: Samstag, 29.November 2003
Thema: Mobil & Aktiv


Steffi NeriusDie Speerwerferin und WM-Dritte Steffi Nerius trainiert in Leverkusen mit großem Erfolg den Nachwuchs im Behindertensport



Erst vor ein paar Monaten gewann die Speerwerferin Steffi Nerius bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Paris die Bronzemedaille und war damit umjubelter Star im insgesamt enttäuschenden deutschen Team. Nach ihrem bislang größten Erfolg und dem vierten Platz in Sydney peilt die 31-jährige Spitzensportlerin nun selbstbewusst auch eine Medaille bei den kommenden Olympischen Spielen in Athen an.


Weniger bekannt ist, dass Steffi Nerius Behinderten- und Rehabilitationssport an der Deutschen Sporthochschule in Köln studiert hat und seit April 2002 halbtags als Nachwuchstrainerin für die Behindertensportabteilung des TSV Bayer 04 Leverkusen arbeitet. Geschäftsführer Jörg Frischmann, selbst ein herausragender Sportler mit Handicap, hatte sie während des Studiums kennengelernt, beide trainierten zusammen und Nerius konnte ihm dabei wichtige Tipps geben. „Für uns war Steffi erste Wahl, weil sie die vielfältigen Aspekte einer Behinderung in der Praxis umsetzen kann und bei den Kindern megagut ankommt“, lobt Frischmann. Hinzu komme, dass Steffi Nerius die Philosophie der Bayer-Sportförderung, Leistungssport, Breitensport und Behindertensport gleichberechtigt in den Fokus zu stellen, durch ihre Vorbildfunktion und ihre berufliche Qualifikation als Diplom-Sportlehrerin in geradezu idealer Weise verkörpert.


Katrin Laborenz„Mit einer Unterarmamputation kann man keinen Medizinball werfen“, sagt Steffi Nerius. „Für mich besteht der Reiz des Behindertensports darin, dass man die bekannten Übungsformen kreativ variieren muss, um ein adäquates Training anzubieten“. Berührungsängste kennt sie dabei keine, denn „wenn die Leute Sport machen wollen, sind sie schon so weit, dass sie keine psychischen Probleme mit ihrem Handicap mehr haben. Wenn einer ihrer behinderten Schützlinge auf dem Trainingsplatz ruft: „Ich kann auf dem Bein nicht stehen“, gibt sie fordernd zurück: „Dann versuch’s doch erst mal richtig!“


Mittlerweile betreut Steffi Nerius in Leverkusen zwei Gruppen mit 6-10- bzw. 11-15-jährigen Sportlern und verschiedensten Behinderungen von Amputationen über Spastiken bis hin zum Down-Syndrom, die sie zwei Mal in der Woche trainiert. Der Aufbau der Sportgruppen war gar nicht so einfach. „Über 600 Briefe an Ärzte und Schulen habe ich geschrieben und auch meine eigene Popularität eingesetzt, um die Leute über Radio und Zeitungen zu motivieren.“ Zusammen mit neun Körperbehindertenschulen organisierte Steffi Nerius ein Leichtathletik-Sportfest, bei dem über 90 Kinder teilnahmen. „Gerade vor dem Hintergrund unserer akuten Nachwuchsproblematik kann man das Engagement und die Professionalität von Steffi Nerius und Bayer 04 gar nicht hoch genug einzuschätzen“, lobt Theodor Zühlsdorf, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes.


Steffi Nerius mit Heinrich PopowBei den Paralympics im nächsten Jahr in Athen werden von Steffi Nerius trainierte junge Athleten wie Katrin Laborenz, Heinrich Popow, Andrea Hegen oder Rainer Schwinden voraussichtlich in den Kampf um Medaillen und Platzierungen eingreifen. Nachwuchshoffnungen wie die sehbehinderte Anna Lena Knors begleitet Steffi auch im Wettkampf, um ihr wie bei den Deutschen Meisterschaften in Wattenscheid im Hochsprung den Feinschliff zu geben und taktische Coolness zu vermitteln.
Für Steffi Nerius ist es immer wieder ein „Aha-Erlebnis“, wenn sie mit ihren Athleten das gesteckte Ziel erreicht oder gar übertrifft. „Behinderte Menschen haben einfach eine tolle Motivation, sich durch den Sport auch im Alltag besser zu integrieren. Das ist ein ganz anderes Arbeiten als mit nichtbehinderten Athleten.“ Deshalb findet sie an der Behindertensportszene auch die familiäre Atmosphäre so sympathisch. Andererseits bemängelt Steffi Nerius daran aber auch, dass selbst Deutsche Meisterschaften häufig eher einem Klassentreffen denn einem Wettkampf gleichen würden: „Im Behindertensport fehlt es teilweise am Respekt vor den erbrachten Höchstleistungen“.


Informationen: TSV Bayer 04 Leverkusen e.V., Behindertensportabteilung, Tel.: 0214/86800-36, Internet: www.tsvbayer04.de


Text und Fotos: Gunther Belitz
Erstabdruck im Magazin HANDICAP, Ausgabe 3-2003







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