E-Learning-Ausbildungsangebote für Menschen mit Handicap
Datum: Montag, 17.August 2009
Thema: Gesellschaft & Kommunikation


E-Learning-Auszubildende im BBW NeckargemündJungen Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen positive Zukunftsperspektiven zu vermitteln ist die zentrale Aufgabe der Berufsbildungswerke, die heute an 52 Standorten in Deutschland etwa 15.000 Bildungsplätze jährlich zur Verfügung stellen.

Mit einer Kapazität für rund 600 förderungsbedürftige junge Leute ist das Berufsbildungswerk (BBW) in Neckargemünd eines der größten in Deutschland. Überregionale Bedeutung erlangt hat es jedoch auch wegen seiner innovativen berufspädagogischen Konzepte.

Im Einsatz neuer Medien zu Ausbildungszwecken hat sich das BBW Neckargemünd, das zum Bildungs- und Gesundheitskonzern SRH mit Sitz in Heidelberg gehört, als Anbieter der ersten Stunde etabliert.


„Wie können wir die neuen technischen Möglichkeiten für jene Menschen nutzbar machen, die wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen während ihrer Ausbildung nicht in unserem Internat wohnen können?“ fragten sich die Verantwortlichen in Neckargemünd schon zum Ende des letzten Jahrtausends, als das Internet und Multimedia-Anwendungen immer mehr an Bedeutung gewannen. Denn obgleich soziale und therapeutische Dienstleistungen fester Bestandteil des ganzheitlichen Förderangebots sind, kam es bei manchen Auszubildenden immer wieder zu langen Unterbrechungen oder gar zum Abbruch der Ausbildung. Der Grund: Sie bedurften besonders aufwändiger medizinischer Betreuung und Pflege, die vor Ort nicht geleistet werden konnte.   

 

Neun Jahre nach Projektstart haben bereits sechs Ausbildungsjahrgänge mit durchschnittlich 12 Teilnehmern von einer gelungenen Verknüpfung der BBW-spezifischen didaktischen Erfahrung mit den neuen Kommunikations- und Informationstechnologien profitiert.

Im so genannten Virtuellen Berufsbildungswerk bereiten sich derzeit insgesamt 36, meist schwerbehinderte, junge Frauen und Männer in einem dreijährigen Ausbildungsgang auf die zentrale Abschlussprüfung zur Bürokauffrau oder zum Bürokaufmann vor. Sie sind auf eine besondere medizinische und pflegerische Versorgung in ihrer häuslichen Umgebung angewiesen. Dass sie ihr Umfeld für die Ausbildung nicht verlassen müssen, ist einem umfassenden E-Learning-Konzept zu verdanken, das innerhalb der SRH eigens für diesen speziellen Einsatz entwickelt und als Modellprojekt von unabhängigen Forschungseinrichtungen in den Anfangsjahren wissenschaftlich begleitet wurde.

 

„Zu den Anforderungen, die wir an unsere Teilnehmer stellen, gehört eine gewisse PC-Erfahrung und ein grundlegendes Technikverständnis, vor allem aber Motivation, Eigenverantwortung und Zuverlässigkeit. Gerade die Teilnehmer an unserem E-Learning-Programm bringen üblicherweise eine hohe Bereitschaft für selbständiges Arbeiten mit und können ihre Zeit kompetent planen“, berichtet Jörg Porath, Geschäftsführer des BBW Neckargemünd. Ausgestattet mit einem Multimedia-PC, Head-Set, Web-Cam und Drucker sowie einem DSL-Anschluss mit Flatrate erlangen die Teilnehmenden nach einer kurzen Einführung während des Hausbesuches ihres Telecoaches die nötige Medienkompetenz, um die Chancen der E-Learning-Ausbildung auszuschöpfen.

 

Wie am Präsenz-BBW müssen sich die Auszubildenden im virtuellen BBW montags bis freitags an einem durchstrukturierten Tagesablauf orientieren. Zu festen Zeiten beginnt morgens der Berufsschulunterricht mit einer Online-Konferenz, zu der sich alle Schülerinnen und Schüler pünktlich einschalten. Pro Woche und Fach sind dafür 60 Minuten vorgesehen, in denen der Stoff interaktiv unter Anleitung speziell ausgebildeter Teleteachers straff und konzentriert durchgearbeitet wird. "Die anfängliche Befürchtung, dass diese Ausbildungsform zur sozialen Isolierung der Teilnehmer beiträgt, hat sich nicht bestätigt. Heute wissen wir nicht nur aus den persönlichen Rückmeldungen der Auszubildenden, sondern auch aus den Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts, dass die virtuelle Ausbildung mit ihren vielseitigen Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Kommunikation für viele der teilnehmenden jungen Menschen ein ’Tor zur Welt’ darstellt," erläutert Schulleiter Manfred Weiser.

 

Neben dem virtuellen Klassenzimmer besuchen die Auszubildenden regelmäßig virtuelle Übungsfirmen, in denen der Praxisbezug des Erlernten vermittelt wird. Hierbei kommen insbesondere die wachsenden Einsatzchancen von Telearbeit zum Tragen. Mehr als zwei Drittel der bisherigen Absolventen konnten die Ausbildung als „Sprungbrett“ in ein sinnerfülltes Arbeitsleben nutzen. Neben dem persönlichen Wert, den die hinzugewonnenen Selbstbestimmung für jeden Einzelnen bedeutet, hat sich auch die Investition der Arbeitsagentur in ihre Ausbildung gelohnt: Sie sind durch die Ausbildung von Leistungsempfängern zu Beitragszahlern geworden.

 

Ungeachtet ihrer Behinderungen bringen sie die am BBW erworbene Berufs- und Medienkompetenz heute beispielsweise als Arbeitnehmer in ein Call-Center oder in die Pflege von Internetauftritten sowie Online-Shops ihrer Arbeitgeber ein. Einer der Absolventen hat inzwischen sogar die Unternehmensleitung im elterlichen Betrieb übernommen.

Das BBW in Neckargemünd hat diese positive Bilanz zum Anlass genommen, ab Herbst vier weitere Berufe als E-Learning-Ausbildung anzubieten.

 

Weitere Infos unter: www.bbw-neckargemuend.de


 

Hintergrundinformation


Kurzporträt: Das Berufsbildungswerk Neckargemünd (BBW) ist ein Unternehmen der außerbetrieblichen Berufsausbildung, das sich an junge Menschen mit besonderem Förderbedarf richtet. Es bietet vielfältige stationäre und ambulante Dienstleistungen der beruflichen Rehabilitation, der Jugendhilfe und Arbeitsmarktintegration. Darüber hinaus stehen umfangreiche medizinische, therapeutische, psychologische und sozialpädagogische Fachdienste zur Verfügung. Das BBW verfügt derzeit über rund 600 Ausbildungsplätze und bildet in mehr als 35 staatlich anerkannten Berufen qualifiziert und zukunftsorientiert aus.

 






Dieser Artikel kommt von HANDICAP - Das Magazin für Lebensqualität online
http://handicap.de

Die URL für diesen Artikel ist:
http://handicap.de/modules.php?name=News&file=article&sid=286